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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1:Mittelfinger an die Hosennaht!11
Kapitel 2:Zweimal getroffen38
Kapitel 3:Die schweren Koffer des Dr. Ferdinand Fröhlich51
Kapitel 4:Meine Mutter und der Mörder93
Kapitel 5:Schlaftabletten oder die Pille zum Glück121
Kapitel 6:Das Kammerfenster Wie´s kommt, so kommt´s132
Kapitel 7:Drei nackerte Weiber und ein von den Toten Auferstandener! Oder: eine Todsünde kommt selten allein154
Kapitel 8:Die gewonnenen Ochsen Oder: wie zerronnen, so gewonnen!175
Kapitel 9:Wie ich zum Militär kam202
Kapitel 10:Hungermarsch218
Kapitel 11:Die unsichtbare Brücke263
Kapitel 12:Ein Omnibus aus Paris289

 

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Rediroma Verlag

Amazon

ISBN: 978-3-96103-558-8
Preis: 13,95

Zweimal getroffen und doch daneben! [Leseprobe]

Heitere Geschichten nicht nur aus dem Leben des Autors



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Kapitel 1

"Mittelfinger an die Hosennaht!"

Es muss im Jahre 1943 gewesen sein. Ich war demnach

gerade einmal 4 Jahre alt. Weihnachten war vorüber und

der Gabentisch war noch immer voll mit Militärspielzeug.

Da gab es Zinnsoldaten als Reiter-Kolonnen. Ordensgeschmückte

Offiziere auf kleinen Bakelit-Pferdchen. Einen

kleinen Blechpanzer, der, wenn man ihn aufgezogen hatte,

aus seiner Kanone Funken sprühte. Ich hatte mir gerade

das kleine Holzgewehr, das mein Onkel Hans wirklichkeitsgetreu

geschnitzt und bemalt hatte über die Schulter

gehängt und den Pappendeckel-Stahlhelm über den

Kopf gestülpt, da kam meine Tante Betty zur Türe herein

und fragte mich spontan "na Hansi, was willst du denn

einmal werden?" Und ich sagte, weil es so gut zu meiner

Kostümierung passte: "Soldat!"

Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich noch nie

in meinem Leben ein Militarist war. Schon gar nicht im

Alter von 4 Jahren! Einschränkend muss ich allerdings

bemerken, dass mich die Hitlerzeit in meiner frühen

Kindheit für ein Leben geprägt hat. Am Schlörplatz in

Weiden (Oberpfalz) gab es ein Kriegerdenkmal. Vor dem

hatten sich an Feiertagen immer 4 schwarz uniformierte

Soldaten aufgebaut mit aufgepflanzten Bayonett. Diese

standen in strammer Haltung, ohne mit einer Wimper zu

zucken und starrten unbeweglich geradeaus, was uns als

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Buben ungeheuer faszinierte. Mein Schulfreund der Singer

Mane und ich machten uns einen Jux daraus, vor den

Wachsoldaten Grimassen zu schneiden, um diese von

ihrer starren Haltung abzulenken und zu einer menschlichen

Regung – vielleicht einem Lächeln - zu veranlassen.

Als meine Mutter einmal unsere Untaten bemerkte, rief

sie uns zur Raison. Das konnte von einem aufpassenden

SS-Mann durchaus als Wehrkraftzersetzung ausgelegt

werden und meinem Vater die Freiheit kosten.

Wir verhielten uns daraufhin anständig. Als sich jedoch

ein Wach-Bataillon, bestehend aus 36 Soldaten mit ihren

genagelten Stiefeln im Gleichschritt zur Kirchenallee in

Bewegung setzte, höre ich dieses Geräusch heute noch in

meinen Ohren: ratsch ratsch ratsch – in festem Schritt und

Tritt. Bin ich deshalb ein Militarist? Ich glaube nicht, wie

ich es später bei der Bundeswehr zum Leidwesen meines

Batterie-Chefs unter Beweis gestellt habe.

Ich bekam 1959 die Aufforderung zur Musterung

Richtung Bundeswehr. Ich machte mir darüber keine besonderen

Sorgen, denn ich hatte einen schweren Herzfehler

als Heranwachsender, was mir auch unser Hausarzt

Dr. Friedrich bestätigte. Ich ging also mit dem schriftlichen

Attest unseres Hausarztes zum Kreiswehrersatzamt,

Hinterm Zwinger Nr 9 (was für eine treffende Adresse)

und präsentierte meinen Zettel, in der Gewissheit, dass

ich untauglich für den Dienst an der Waffe wäre. Der

mich untersuchende Stabsarzt las den Zettel und befahl

mir trotzdem "ausziehen!". Ich machte mich daraufhin

nackig. Der Mediziner untersuchte mich nach allen Regeln

der Kunst und als er meine Eier in seine kalte Hand

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nahm und kommandierte "Husten", stellte ich mir

krampfhaft vor, diese Hand, die ich da unten spürte, wäre

die meiner frühen Pupertätsfreundin, der Deubzer Ingrid.

Gott sei Dank zeigte dieser Gedanke keinerlei Reaktion

bei mir und der Medizinmann riss mich mit den Worten

"Tauglich 2 - hätten sie nicht ein paar plombierte Zähne,

wären sie tauglich 1.", aus meinen Gedanken. Ich

meinte daraufhin, das wäre nicht möglich, da ich doch in

meiner Jugend einen schweren Herzfehler gehabt hätte.

Nun, die Bundeswehr wollte damals schon kein Risiko

eingehen und so ließ man mich noch einmal auf Herz

und Nieren prüfen, mit dem gleichen Ergebnis.

Nachdem mich der Mann meiner Cousine Elfriede,

damals ein eifriger Protestierer gegen die Einführung der

Wehrpflicht, mir nahe legte, ich solle doch den Wehrdienst

verweigern; er würde mir die nötigen Unterlagen

dazu überlassen, entschied ich mich anders. Ich war zwar,

wie gesagt, kein Militarist, aber ich wollte mich vor der

allgemeinen Verpflichtung als Staatsbürger nicht drücken.

Zu meiner Mutter sagte ich "Ich werde das Jahr schon

überstehen. Mit ein bisschen Kreativität müsste man wohl

als Gefreiter Arsch diese 12 Monate absolvieren können.

Eigentlich wollte ich an der Werkkunstschule Augsburg

Grafik studieren, nachdem mir mein Onkel Hans, der die

Firma meines Vaters übernommen hatte und aus schlechtem

Gewissen heraus versprochen hatte, das Studium zu

finanzieren. Dann als es aber soweit war und ich die Aufnahmeprüfung

an der Werkkunstschule in Augsburg bestanden

hatte, machte der gute Onkel einen Rückzieher

und meinte

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"...ja, das Schwarzbeer-Geschäft im letzten Jahr war

sehr schlecht. Die Ernte war mager, es gab keine Mengen

an Waldfrüchten zu verkaufen."... und er könne sich

momentan finanziell nicht rühren. Ich hatte Wut im

Bauch und meldete mich deshalb auch leichtfertiger Weise

gleich zur Bundeswehr. Am 1. Juli 1959 marschierte

ich also mit einem kleinen Köfferchen die Frauenrichter

Straße entlang zur Metz Kaserne. Ich hatte ein mulmiges

Gefühl. Da traf ich zufällig meine alten Schulkameraden

den Karl Feneis und den Singer Mane, die ebenfalls mit

einem Koffer bewaffnet und der ebensolchen Aufregung

im Bauch, in die gleiche Richtung marschierten.

Wir wurden auf Block B eingewiesen und der ganze

Ton war ziemlich rau. Er gefiel mir überhaupt nicht. Als

mich der diensthabende Soldat in der Wäschekammer

anschrie ich solle endlich den Wäschesack nehmen, habe

ich zu ihm gesagt, ob das nicht in einem etwas höflicheren

Ton geht. Da flippte der Kerl aus und schrie, dass man es

bis auf den Kasernenhof hörte, er würde mir schon noch

die richtigen Töne beibringen. Uns war eine Stube im

vierten Stock, ganz unter dem Dach zugewiesen. Als ich

den Gestank von Bohnerwachs und kaltem Schweiß im

Treppenhaus riechen musste, wurde mir bereits schlecht.

Wir waren acht Mann auf der Stube. Es gab vier Stockbetten.

Ich suchte mir ein Bett in der unteren Etage aus,

denn ich dachte, wenn ich oben liege, dann steigt der ganze

Mief, den meine Kollegen so während der Nacht produzieren

in meine Nase. Unten war die Luft etwas reiner.

Unsere Uniform hatte am Kragen rote Spiegel, Eupoletten,

das bedeutete, dass wir der Artillerie zugeordnet wa

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ren. Warum ich ausgerechnet zur Artillerie eingeteilt wurde,

war mir schleierhaft.

Zurück zur Musterung: Neben dem Griff an die Eier

war auch der Blick des Arztes , nach dem scharfen Befehl

"B ü c k e n!", zwischen die Arschbacken am hinteren

Teil unseres Körpers Bestandteil der Musterung. Der

Bursche vor mir hatte, - durch die Aufregung, geplagt von

Dünnpfiff (Durchfall), noch bevor er in die Kaserne einpassieren

konnte, offenbar das unwiderstehliche Drängen,

seinem Stuhlgang freien Lauf zu lassen. Vor der Kaserne

befand sich eine große Wiese mit hohem Gras. Also

nutzte er das Gras, obwohl er noch keine Grundausbildung

in `Tarnen und Täuschen` genossen hatte, um

sein Geschäft fern den Blicken der Passanten vorne auf

der Straße, zu verrichten. Leider bemerkte er zu spät, dass

nichts da war, womit er sich abputzen hätte können. Also

ergriff er einen Büschel Gras, reinigte notdürftig seine hintere

Gegend, zog die Hose wieder herauf und marschierte

schließlich in die Kaserne. Bestandteil der Musterung war

aber wie gesagt, der Blick des untersuchenden Mediziners

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zwischen die hinteren Backen. Als das bei meinem Vorgänger

der Fall war, rief der Arzt "Bücken!"...und als dessen

Blick die hintere Körperöffnung fand und sah dass

offenbar noch einige Grashalme an den Backen klebten,

rief er aus

"Mann, was wollen Sie denn bei der Artillerie. Sie gehören

besser zur Kavallerie. Sie haben ja das Futter für

die Pferde schon dabei." Großes Gelächter beim Untersuchungspersonal.

Nur mir war überhaupt nicht zum Lachen

zumute. Nun, bei mir fand man auch keine Gräser

oder ähnliches und ich war erleichtert als die peinliche

Prozedur endlich vorüber war.

Anschließend wurde man noch mit Fragen bombardiert.

Der Einberufene vor mir, war ein Zwei-Meter-Mann

aus dem Bayerischen Wald und auch er wurde gefragt

"Rauchen Sie?" –

"Ja"

"das heißt jawoll!"

"Jawoll, Herr Gerneralarzt!"

"Ich bin nur der Stabsarzt. - Trinken Sie?"

"Jawoll, Her Oberstabsarzt."

"Wieviel trinken Sie?"

"Einen Kasten, Herr Oberstabsarzt".

"Meinen Sie Bier"

"Jawoll, Herr Stabsarzt"

"In der Woche?"

"Nein, am Tag, Herr Stabsarzt"

"Das glaub ich Ihnen nicht, - was sind Sie von Beruf?"

"Ich bin Glasbläser im Bayerischen Wald, Herr Stabsarzt,

dou kraign S an Durscht. (Da kriegen Sie auch

Durst)".

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Der Arzt schüttelte den Kopf und sagte

"Weiter, der Nächste".

Am schlimmsten waren für mich beim Einkleiden die

Knobelbecher die, weil sie natürlich von vielen Rekruten

vor mir getragen worden waren, ziemlich ramponiert waren.

Als ich den Stahlhelm aufsetzte und wir zum ersten

Rapport in den Hof gerufen wurden, dachte ich, mir

bricht der Kopf ab, so schwer kam mir der Helm vor. Als

ich unseren Oberfeldwebel darauf aufmerksam machte,

man solle doch für die Stahlhelme ein leichteres Material

verwenden z.B. Aluminium, da drehte er sich einfach um.

Scheinbar fand er meine Frage gar nicht witzig, was von

mir aus durchaus ernst gemeint war.

"Aluminium...", sagte mein Rekruten-Freund Karl

"...hält doch keine Kugel ab, wenn scharf geschossen

wird, du Hirsch!"

Ich fragte nach

"...wird denn hier bei der Bundeswehr scharf geschossen?"

Das konnte ich mir nicht vorstellen.

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Die Bundeswehr immer als friedliche Armee dargestellt,

zur Verteidigung der Heimat. Im Übrigen fand ich mich

zumindest im ersten Vierteljahr, also während der Grundausbildung,

wo wir keinen Ausgang hatten, wie im Gefängnis.

Das muss man sich einmal vorstellen da ist man

die ganze Kinderund Jugendzeit vogelfrei, kann hinfahren

und hingehen wo man will und plötzlich ist man eingesperrt.

Scheußlich! Am Freitag der ersten Woche gegen

Abend hatte ich mit meiner Mutti ausgemacht, dass sie

mich am Zaun hinter unserem Block besucht. Gegen 19

Uhr kam meine Mutti mit meiner kleinen Schwester Moni.

Sie übergaben mir zwei Äpfel, damit ich nicht verhungere.

Wir konnten nicht allzu lange miteinander sprechen,

denn die Wachposten patrouillierte am Zaun entlang. So

nahmen wir denn tränenreich Abschied. Die Grundausbildung

war für mich nicht gerade erbauend. Ich war unsportlich,

durfte ich doch wegen meines Herzfehlers am

Sportunterricht in der Schule nie teilnehmen. Unser Ausbilder

war ein gewisser Unteroffizier Heimann. Der war

einen Kopf kleiner als ich; ziemlich rund aber er bemühte

sich seine körperlichen Nachteile durch eine laute Stimme

zu ersetzen. Vor Abschluss der Grundausbildung

mussten wir lernen zu grüßen. Ohne Grußabnahme erhielt

hier niemand Ausgang. Also stellten wir uns früh

morgens schon auf dem Kasernenhof im Gänsemarsch

auf und schräg seitlich etwa fünf Meter von uns stand

unser dicker Unteroffizier und befahl

"Mittelflinger an die Hosennaht - Der Nächste marsch!"

Wir mussten starr geradeaus blicken und auf Höhe des

Herrn Unteroffizier unseren Kopf nach links reissen, die

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rechte Hand musste mit den Fingerspitzen die Krämpe

der Mütze berühren und man musste zackig rufen

"Guten Morgen, Herr Unteroffizier!"

Es war ein blödes Schauspiel: nicht das Kopfreißen und

auch nicht das Grüßen, sondern immer wenn ich auf Höhe

des Herrn Unteroffizier angelangt war und ihm nach

links ins Gesicht blickte, kam mir dieser Zirkus dermaßen

lächerlich vor. Ich musste hier einen kleinen dicken kugelrunden

Bundeswehrmenschen zackig grüßen. Das war

für mich absolut lächerlich, so dass ich mir ein breites

Grinsen nicht verkneifen konnte, was den Herrn Unteroffizier

Heimann furchtbar aufgeregt hat.

"Bleiben Sie ernst - Zurück ins Glied!..."

schrie er "...noch einmal dasselbe!"

Ungefähr nach fünfmaliger Wiederholung konnte ich

mir endlich das Grinsen verbeißen.

Wir wurden früh morgens um 6 Uhr per Trillerpfeife

aus den Betten geholt und mussten der Übung halber in

weniger als fünf Minuten unten vor unserem Wohnblock

antreten. Jeder hatte seinen festen Platz. Ich war in der

zweiten Reihe. Gegen halb acht Uhr kam die blonde Evelyn

daher gestöckelt: Hohe Hacken, kurzes Röckchen,

aufgeblondet mit langen Haaren. Sie war Zivil-Angestellte

in unserer Schreibstube und die ganze Kompanie richtete

die Blicke auf sie, nachdem einer in der ersten Reihe gerufen

hatte

"Schaut mal hin - die Evelyn!"

Das arme Mädchen, das vielleicht gerade mal Anfang

der 20 war, lief im Gesicht rot an. Das Spießrutenlaufen

bis zur Eingangstüre unseres Block B war für sie sicherlich

auch eine Tortur. Jeden Morgen dasselbe. Sie hatte eine

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berückende Figur. Unsere ganze Kompanie, oder besser

Batterie, so heißt es bei der Artillerie, war scharf auf das

junge Ding. Unser Ausbilder Heimann rief bei dieser Gelegenheit

"Augen geradeaus, Ihr Schweine. Ich werde euch Beine

machen!"

Und schon mussten wir im Dauerlauf zur Strafe eine

Runde um den Kasernenhof drehen.

Mit der blonden Evelyn hatte ich ein spezielles Erlebnis.

Nach der Grundausbildung wurden wir zur Ausbildungskompanie

und so bekamen wir alle Vierteljahre neue Rekruten

zur Ausbildung. Ich wurde auf meinen Antrag hin

bei unserem Oberfeldwebel, dem Chef der Schreibstube,

zur Stammmannschaft in die Schreibstube übernommen.

Das war für mich wunderbar, denn ich war im großen

Raum der Stube immer in Blickkontakt mit der blonden

Evelyn. Diese hatte, das habe ich sehr schnell festgestellt,

ein Verhältnis mit einem Ausbilder, dem Stabsgefreiten

Hymon. Die beiden trafen sich, auch das habe ich sehr

schnell herausbekommen, ein paarmal in der Woche zum

Stelldichein. Immer nach vorheriger Zettelbotschaft; am

Abend nach Dienstschluss, in der stockdunklen Waffenkammer,

am Ende des Ganges. Hymon erzählte mir, dass

die Kleine sexuell gut drauf war und beim Höhepunkt

ihrer zweisamen Handlung helle Quietschtöne von sich

gebe. Nur zu gern hätte ich diese Töne einmal in Natura

vernommen. Da kam mir ein Zufall zu Hilfe: Hymon hatte

wie üblich der Angebeteten einen kleinen blauen Zettel

auf den Schreibtisch gelegt, wo er ihr immer Datum und

Uhrzeit des Treffens mitteilte. Als die Dame jedoch einmal

nicht im Zimmer war, lag der kleine blaue Zettel kur

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ze Zeit ziemlich aufreizend und einsam auf ihrem

Schreibtisch herum. Ich stibitzte den Zettel und las:`heute

Abend 18:30 Uhr´. Von Hymon wusste ich wie die Zeremonie

der beiden ablief. Er war immer fünf Minuten

vor dem Termin in der dunklen Kammer bis Blondie zur

Türe herein kann. Es wurde kein Licht gemacht und die

beiden vergnügten sich im Finstern. Nun war für mich

klar, ich musste nur den Zettel etwas korrigieren – sagen

wir auf 17:00 Uhr und sodann begab ich mich kurz vor

der angegebenen Zeit, in die Dunkelkammer. Ich setzte

mich auf einen Stuhl, der dort schon bereit stand und wartete

mit ganz schönem Herzklopfen auf das, was da auf

mich zukommen sollte. Pünktlich um 17:00 Uhr wurde

die Türe einen Spalt geöffnet und eine liebliche Stimme

fragte `bist du da?´ ich hauchte ein `Ja!´. Die Kleine

schlüpfte ins Zimmer, so dass ich nur ihre Umrisse erkennen

konnte. Dabei konnte sie meine Umrisse kaum

erkennen, denn ich befand mich total im hinteren, stockdunklen

Teil des Waffen-Appartements. Sie setzte sich

ohne Umschweife zu mir auf den Schoß und knöpfte mir

die Uniformhose, mit erkennbarer Übung, auf. Dann

lüftete sie ihr Röckchen und ich bemerkte, dass sie großzügiger

Weise keinen Slip darunter trug. Man kann auch

sagen: die Dame verstand etwas von Logistik und praktischem

Handeln. Es war für mich ein unbeschreibliches

Erlebnis und nach getanem Vergnügen, sie hatte gequietscht

wie beschrieben, huschte das blonde Mäuschen

wieder zur Türe hinaus, ohne dass sie den Schwindel bemerkt

hatte. Natürlich war es für mich naheliegend, die

Verwechslung noch einmal zu probieren, aber es ergab

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sich keine weitere Gelegenheit und zu viel wolle ich auch

nicht riskieren.

Das war mein Erlebnis mit der blonden Evelyn.

Eine andere Frau bleibt mir im Gedächtnis, wenn ich an

meine Bundeswehrzeit denke. Sie heißt Barbara, ich meine

die Heilige Barbara. Die Kirche feiert den Tag der heiligen

Barbara alljährlich am 4. Dezember. Barbara wurde

der Legende nach im dritten Jahrhundert Märtyrerin in

Nikomedia (Kleinasien) indem sie eigenhändig von ihrem

reichen Vater geköpft wurde, denn sie weigerte sich einen

heidnischen Ehemann zu nehmen. Die heilige Barbara

gehört zu den 14 Nothelfern und gilt als Schutzpatronin

der Geologen, der Dachdecker und – aufgepasst - der

Artilleristen. Sie ist Helferin bei Blitzund Feuergefahr,

Patronin der Bergleute, der Schlosser, der Gefangenen,

der Architekten und eben der Artilleristen. In der Kunst

wird die Heilige Barbara mit den folgenden heiligen Attributen

dargestellt: einem Turm mit drei Fenstern, einem

Kelch mit Hostie und natürlich wieder einem Kanonenrohr.

Meine Mutter hat immer am Barbaratag den sogenannten

Barbarazweig von einem Apfeloder Kirschbaum geschnitten

und ins Wasser gestellt. Wenn dieser am Weihnachtsfest

aufblühte, dann war das als gutes Zeichen für

die Zukunft gewertet. Der Brauch, an den wir zu Hause

immer glaubten, lehnt sich an Barbaras Gefangenschaft

an. Von einem verdorrten Kirschbaum nahm sie einen

Zweig benetzte ihn mit einem Tropfen aus ihrem Trinknapf

und fand Trost darin, dass der Zweig in ihrer Zelle

plötzlich blühte. Darauf sagte die Barbara: `du schienst

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tot, aber bist aufgeblüht zu schönerem Leben, so wird es

auch mit meinem Tod sein. Ich werde zu neuem ewigen

Leben aufblühen.´ Ein weiterer Brauch der vor allem im

Allgäu große Verbreitung gefunden hat, ist das `Bärbeletreiben

´. Da verkleiden sich am Barbaratag junge unverheiratete

Frauen als alte Weiber und ziehen mit lautem

Glockengeläut und Ruten durch die Dörfer, um das

Schmutzige und Unanständige zu vertreiben. Das Unanständige

zu vertreiben, wäre auch bei uns in der Bundeswehr

nicht schlecht gewesen, aber es ist eben nur ein

Brauch, der im Allgäu gilt.

Anfang Dezember rüstete man auch bei der Bundeswehr

in Weiden zum Barbara-Fest. Schließlich waren wir

Artilleristen; und insbesondere die Offiziere in ihrem Casino

mussten ein großes Fest veranstalten. Nachdem ich in

der Schreibstube arbeitsmäßig nicht besonders überlastet

war, kam ich auf viele Ideen, die meinem Oberfeldwebel

und unserem Batteriechef Oberleutnant Carstens (teilweise)

gut gefielen.

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Ich machte nämlich den Vorschlag, dass ich verkleidet als

Heilige Barbara auf einem weißen Pferd ins Offizierskasino

einreiten wollte, um diesem Fest einen würdigen Auftakt

zu geben. Mein Spezi, der Wenzel Fritzi, hatte nämlich

einen Pferdestall und hat mir auf meine Anfrage versichert,

dass er mir zum 4. Dezember ein weißes schönes

Pferd, einen Schimmel, zur Verfügung stellen würde. Auf

meine Nachfrage hin versicherte er mir, dass es sich um

ein lammfrommes Tier handeln würde, das auch den

Lärm, den viele Leute in einem Saal erzeugten, nicht

scheuen würde. Zuerst einmal mussten der Rieger Jochen

und ich - er war vom gleichen Zug - die Dekoration des

Offizierscasinos bewerkstelligen. Wir holten also Barbarazweige,

die allerdings schon etwas aufgeblüht waren und

drapierten diese zusammen mit frischem Tannengrün im

ganzen Saal. Es sah toll aus und wir waren von uns selbst,

am meisten begeistert. An der Stirnseite des Saales haben

wir ein Podium aufgebaut, darüber ein großes Transparent

mit der Aufschrift ´Willkommen zum Barbara-Fest -

Friede den Menschen auf Erden´. Als der Tag heran

rückte lieferte mir mein Freund Wenzel ein schönes großes

weißes Ross, das allerdings an den Hinterbacken, ähnlich

wie ein Apfelschimmel, dunkle Flecken aufwies. Wir

holten deshalb einen Eimer weißen Kalkes und übermalten

die schwarzen Flecken. Unser Pferdchen rührte sich

nicht und ließ sich alles wunderbar gefallen. Dann ging es

an meine Kostümierung. Diese war schnell erledigt: eine

blonde langhaarige Perücke aufs Haupt, ein goldener

Stanniolstreifen um die Stirne gewickelt und in einem

großen Betttuch einen Schlitz in die Mitte für den Kopf,

umgehängt, schon war die wunderbare Heilige Barbara

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fertig. Kurz vor 20 Uhr hatte sich das Casino mit vielen

eleganten Herrschaften gefüllt. Die Herren Offiziere in

ihren Ausgeh-Gala-Uniformen, die Damen mit langen

eleganten Kleidern. Man hatte schon etwas am Champagner

genippt und die Stimmung war hervorragend. Als die

Kapelle einen Tusch spielte, schwang ich mich auf mein

Weißes Ross und trabte durch die Eingangstüre in den

Saal. Ich hätte wohl besser daran getan, dem Wenzel Fritzi

das Pferd am Zügel führen zu lassen, aber ich war mir

meiner Sache sicher, ritt munter drauflos. Als wir etwa in

der Mitte des Saales angekommen waren und die Kapelle

versuchte einen Marsch im Rhytmus der Fußtritte des

Pferdes anzustimmen und Beifall von Seiten der anwesenden

Ballbesucher laufbrandete, wurde mein Schimmel

nervös. Er tänzelte zuerst auf der Stelle, um dann mit ein

paar kräftigen Galoppsprüngen in den Saal zu stürmen. Ja,

wäre er nur in den Saal gestürmt, dann hätten wir keine

Malaisen gehabt, aber so stürmte mein sonst so braves

Pferdchen in die rundum sitzenden Gäste, die alle die

Flucht ergriffen und zum Teil mit großem Geschrei den

Lärm der umstürzenden Tische übertönten. Die Kapelle

hatte inzwischen auch die Flucht ergriffen, denn mein

nervöses Ross stürmte auf das Podium, das mit sämtlichen

Instrumenten umkippte und auch ich kippte um und verließ

den Sattel in hohem Bogen; war ich doch leichtsinnigerweise

im Damensitz eingeritten, wo man sowieso das

Gleichgewicht schlecht halten kann. Ich stürzte also vom

Pferd, das inzwischen zum Ausgang zurückgaloppierte

und da das Transparent oberhalb des Podiums angebracht

war, wurde es heruntergerissen. Es bedeckte meinen

daliegenden Körper, eingehüllt in das Gewand der

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Heiligen Barbara, so dass gerade noch die Schrift zu lesen

war: "Friede den Menschen auf Erden!´.

Das Ergebnis war, dass ich nie wieder mit irgendwelchen

Ideen kommen durfte, um die OffiziersHerrschaften zu unterhalten.

Ich möchte beim geneigten Leser nun wirklich nicht

den Eindruck erwecken, dass mein Aufenthalt bei der

Bundeswehr ein reines Vergnügen gewesen wäre. So war

es nicht. Schon kurz nach der Grundausbildung wurde ich

eines Tages zum Wachdienst, am Eingang der Kaserne,

eingeteilt. Ich versuchte eine stramme Haltung, was mir

nicht ganz leicht fiel, denn von der gegenüberliegenden

Straßenseite aus dem Trocadero, einer Bundeswehr

Kneipe, die nach Dienstschluss gut frequentiert war, drang

heiße Musik zu mir herüber und wenn Bill Haley und

seine Comets `rock around the clock´ donnerten, konnte

sich mein rechter Fuß nicht beherrschen und musste

ständig zum Takt wippen. Ich stand also so vor mich hin

und dachte darüber nach wie schön es wäre mit meiner

damaligen Freundin der Deubzer Ingrid einen Rock'n'roll

aufs Parkett zu legen. Da wurde ich jäh aus meinen

Träumen gerissen. Vor mir hatte sich unser Batteriechef,

Oberleutnant Carstens aufgebaut. Er blickte mir scharf in

die Augen und ich machte Meldung:

"Kanonier Christl auf Wache, keine besonderen Vorkommnisse!"

"gut...", sagte der Batteriechef "...zeig mir dein Gewehr!"

ich wieder

"Geladen und gesichert!"

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Ich riss mein Gewehr von der Schulter, brachte es in

waagerechte Haltung und hielt es dem alten BarrasHengst vor die Nase. Er nahm mir ungeniert mein Gewehr

aus den Händen, hängte es sich selbst um die Schulter

und ging davon. Ich stand da wie ein begossener Pudel

und wusste nicht was ich machen sollte. Der diensthabende

Unteroffizier hatte die Szene beobachtet, kam zu

mir her und schrie mich an

"Mensch Mann, sie dürfen doch ihr Gewehr niemals

aus der Hand geben!"

Ich wusste nichts darauf zu antworten.

Inzwischen marschierte der Oberleutnant mit meinem

Gewehr als Beute über der Schulter zu unserem Block in

unsere Schreibstube.

"Das gibt ein Nachspiel, Sie Pflaume", rief der Unteroffizier

und ich ging zurück ohne Bewaffnung in die Wachstube.

Das Ganze hatte tatsächlich ein Nachspiel vor dem

Disziplinarausschuss der Bundeswehr, denn ich hatte, da

ich meine Waffe aus der Hand gab, gegen eine strenge

Vorschrift verstoßen. Gott sei Dank, kam mir unser Feldwebel

aus der Schreibstube zuhilfe, indem er meinte

"Halb so schlimm, Kanonier Christl. Sie berufen sich

bei der Anhörung vor dem Disziplinarausschuss, erst

einmal darauf, dass Sie den Befehl Ihres Vorgesetzten

Folge geleistet haben. Außerdem war Ihnen derjenige,

dem Sie Ihre Waffe aushändigten ja gut bekannt - umso

mehr Gewicht hatte sein Befehl."

Am liebsten hätte ich die Flinte als man sie mir zurückgab,

über den Zaun der Kaserne geworfen.

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Ich hatte von den Dingern genug. Allerdings muss ich

erwähnen, dass ich bei unseren Schießübungen immer

von 50 Ringen 49 getroffen habe, was mir eine gewisse

Achtung einbrachte.

Am schlimmsten für mich waren die Märsche. Unser

erster Nachtmarsch ging über 30 km. Und ich war, als wir

in die Kaserne zurückkamen, fix und fertig. Ich konnte

ohne stechende Schmerzen, die bis herauf zum Knie

reichten, nicht mehr laufen. Der Arzt in unserem Krankenrevier

stellte fest, dass das kein Wunder wäre, ich hätte

einen Senk-, Plattund Spreizfuß und so wurde ich für 14

Tage dienstuntauglich geschrieben.

Der mir immer noch befreundete, der Obergefreite

Hymon, gab mir einen Tipp: "vor dem nächsten Marsch

drinkst du vorher drei Kurze", er meinte Schnäpse, "dann

wirst du sehen, geht das Marschieren leichter vonstatten."

Ich folgte seinem Radschlag und musste feststellen, er hatte

recht. Allerdings hatte ich statt 3 Schnäpse, um sicher

zu gehen, fünf zu mir genommen. Das Marschieren mach

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te mir daraufhin nichts mehr aus, aber ich hatte Schwierigkeiten

im Glied zu bleiben, die Schwankungen waren

groß.

***

Mein Leben in der Schreibstube war an Eintönigkeit

nicht zu übertreffen, wenn ich von der hübschen blonden

Zivilangesellten Evelyn einmal absehe. Der Leiter unserer

Schreibstube, Feldwebel Langner, drang ständig in mich,

ich solle doch einen Unteroffizierslehrgang absolvieren

und könnte anschließend die Offizierslaufbahn einschlagen.

Der Vorschlag hatte jedoch zwei Nachteile: Erstens

wusste ich aus Erzählungen, das ein Unteroffizierslehrgang

ziemlich anstrengend war, was ich meinem Körper nicht

zumuten wollte - und Zweitens hätte ich mich auf ein halbes

Jahr länger, also insgesamt auf 18 Monate verpflichten

müssen. Ich hatte nämlich das Glück, als ich 1959 eingezogen

wurde, war die Wehrdienstzeit noch auf 12 Monate

festgelegt. Ein halbes Jahr später wurde die Wehrpflicht

bereits auf 18 Monate verlängert. Ein Jahr genügte mir

voll und ganz. Auf das ständige Drängen von Feldwebel

Langner hin, sagte ich einmal zu ihm

"Erst einmal sollte die Bundeswehr etwas für mich tun

und dann werde ich mir überlegen Ihrem Vorschlag näher

zu treten."

"In Ordnung...", sagte Langner "...ich biete dir erst

einmal an, dass du hier bei uns kostenlos den Führerschein

machen kannst, der nach Abschluss Deiner

29

Dienstzeit ohne weiteres auf einen Zivil-Führerschein

übertragen werden kann."

Das gefiel mir schon besser; also wurde ich angemeldet

mit zwölf anderen Kandidaten für die Militär-Fahr-Schule.

Wir wurden in drei Disziplinen unterrichtet; einmal nach

Militärrecht, einmal nach Zivil-Verkehrsregeln und in der

Theorie wurde nach Zivilparagraphen und nach technischen

Kenntnissen für Militärfahrzeuge geprüft.

In einem offenen ¾-Tonner-Kübelwagen ging es los.

Mir machten die ersten Fahrstunden enormen Spaß, da

ich mich ja in Weiden und den ganzen Straßen sehr gut

auskannte. Das Fahrzeug hatte natürlich ein nichtsynchronisiertes

Getriebe und man musste beim Hochund

Herunterschalten immer Zwischengas geben. Das war Gefühlssache.

Wenn es im Getriebe knirschte und krachte,

schrie der Herr Unteroffiziers-Fahrlehrer

"Ein schöner Gruß vom Getriebe!" Dabei zückte er

eine Art Tatzenstock und schlug damit auf den Handrücken

der Hand des Fahrschülers, die das Geräusch verursacht

hatte. Da kamen manche Fahrschüler mit einer geschwollenen

dunkelroten Hand aus der Fahrstunde zurück.

Als wir eines Tages durch die Obere Bachgasse fuhren,

befahl mir der Fahrlehrer rechts in das Rosengässchen

einzumünden und es zu durchfahren. Nun war die

obere Bachgasse und auch das Rosengässchen in meiner

unmittelbaren Wohngegend, wo ich seit fast zwei Jahrzehnten

wohnte und ich kannte das Rosengässchen in und

auswendig, denn wir hatten dort unsere Lausbubenstreiche

vollführt. Deshalb wusste ich auch, dass ich mit meinem

Kübelwagen nie durch das schmale Gässchen hindurch

kommen konnte. Auf meinen Einwand hin schrie

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der Fahrlehrer, ich solle gefälligst seinem Befehl folgen

und in das Gässchen einmünden. Ich tat wie befohlen und

bereits nach 5 Metern blieben wir mit unserem MilitärGefährt stecken. Wir kamen nicht mehr vorwärts und

auch nicht mehr rückwärts. Der Herr Unteroffizier kletterte

an der Rückseite unseres Fahrzeugs nach draußen,

besorgte zwei stramme Fußgänger, befahl mir den Rückwärtsgang

einzulegen und nach kräftigem Ziehen und

Schieben und Gasgeben konnte ich mein Fahrzeug zurück

auf die Obere Bachgasse bugsieren. Ich stellte den

Motor ab und besichtigte zusammen mit dem Befehlsgeber

den Schaden links und rechts. Die Türen waren stark

beschädigt, nicht nur eingedrückt, sondern die Farbe war

auf der ganzen linken und rechten Seite abgeschürft.

"Kein Problem...", sagte der Fahrlehrer "...wir fahren

den Wagen jetzt in die Werkstatt. In zwei Tagen ist er

wieder komplett."

Mein Herr Fahrlehrer machte keinerlei Anstalten mir

eine Schuldzuweisung zu verpassen, musste er doch befürchten,

dass ich ihn als Ursache der Beschädigung nennen

würde.

Eines Morgens als ich in der Schreibstube die Post öffnete,

sah ich einen Stellungsbefehl des Oberkommandos

München, unsere Batterie sollte als Ausbildungskompanie

einen Mann für einen Sing-Leiter-Lehrgang nach München

abstellen. Ich hielt den Wisch unserem Feldwebel

unter die Nase und sagte

"Schauen Sie, Herr Feldwebel, hier könnte die Bundeswehr

einmal etwas für mich tun. Schicken Sie mich

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doch zu diesem vierwöchigen Sing-Leiter-Lehrgang nach

München."

"Mensch Mann...", sagte Langner "...Sie können doch

keine Noten lesen und schon gar nicht singen. Oder?..."

"Da täuschen Sie sich aber gewaltig Herr Feldwebel; ich

hatte bei Schwester Marcella im Kloster der Armen

Schulschwestern in Weiden drei Jahre Klavierunterricht."

Dabei erwähnte ich natürlich nicht, dass dieser Klavierunterricht

an meinen musikalischen Talenten wenig ausgerichtet

hatte. "...und Noten kann ich sowieso lesen! Im

Singen in der Schule hatte ich immer eine Eins." Das

stimmte tatsächlich und ich erinnerte mich, dass wir immer

bei unserem Lehrer Reis das Lied `Leise zieht durch

mein Gemüht liebliches Geläute´ singen mussten dabei

tat ich mich durch meine laute Stimme besonders hervor,

an der Textstelle `Leise zieht...`was mir stets eine gute

Note eingebracht hatte.

"Gut...", sagte Langner "..ich melde Sie dort an, aber

ich sage Ihnen gleich, wenn Sie zurückkommen müssen

Sie unsere Ausbildung-Rekruten im Singen unterrichten."

Und er überlegte laut vor sich hin "Der Vorteil ist, dass

wir wenigstens ein paar Wochen hier einen Stubenhocker

weniger zu verkraften haben."

Mein Herz machte einen Satz vor innerer Freude und

ich konnte den Tag meiner Abreise Richtung München

kaum erwarten.

Ich meldete mich ordnungsgemäß in der PionierKaserne im Münchner Norden, beim Musikkorps 4, und

man wies mich zunächst in die Unterkunft ein. Wir waren

etwa ein gutes Dutzend jüngere Leute, darunter auch eini

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ge Unteroffiziere. Ich war der einzige Gemeine Soldat.

Unser Singleiter ließ den Unterricht gemächlich angehen.

Ich tat mich nicht schwer, denn ich kannte mich mit den

Noten aus und konnte auch die Töne halten. Im Raum

wo wir unterrichtet wurden befand sich ein Klavier der

älteren Sorte und ich machte mich gleich daran dem alten

Kasten ein paar Töne abzuringen. Als Jazzfan war ich

immer schon vom `San Louis Blues´ begeistert und

konnte diesen ohne große Mühe auf dem Piano herunterklimpern.

Alle waren erstaunt und riefen `Zugabe

Zugabe´. Leider gingen die vier Wochen in München

wie im Fluge vorüber. Ich fuhr mit einem Diplom als

`Sing-Leiter der Bundeswehr´ zurück in die MetzKaserne nach Weiden. Was Feldwebel Langner von mir

sofort verlangte war, dass ich bereits am nächsten Vormittag

unsere neuen Rekruten im Gesang ausbilden sollte.

Ich hatte eine Reihe von Militär-Gesangbüchern beim

Musikkorps 4 erhalten, in denen schöne neue Soldatenlieder

enthalten waren, wie z.B . `Auf der Elbe sind wir

gefahren´ oder das alte Barraslied `Oh du schöööner

Westerwald´. Ich wusste, dass bei den meisten der Rekruten,

die ich unterrichten sollte, aus vergangenen Barraszeiten

das Lied der schönen `Erika´ immer noch bekannt

war. Ich stellte also gleich zu Beginn meiner Singstunde

die Frage in die Runde

"Kennt Ihr Kanaken das Lied der schönen Erika `Auf

der Heide blüht ein Blümelein und das heißt Eeerika".

Die Kameraden nickten ausnahmslos mit dem Kopf und

ich kommandierte

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"Los Ihr Sangesbrüder, auf auf und vor dem Block in

Reihe angetreten." Alle waren froh, dass sie in mir einen

Ausbilder gefunden hatten, der sie nicht trietste, sondern

der ihnen einige Abwechslung vom tristen Ausbildungsalltag

versprach. Ich ließ also meine Rekruten, es waren ca.

90 Mann unten vor dem Block antreten. Den Gleichschritt

hatten sie schon gelernt und ich kommandierte

"Im Gleichschritt... marsch!"

Im Gleichschritt marschierten meine Jungs wunderbar

mit ein paar kleinen Ausnahmen. Wir marschierten rund

um den Kasernenhof, an dessen Längsseiten jeweils drei

Wohnblocks lagen. Und so kommandierte ich des weiteren

"Achtung Freunde der Westfront, ein Lied .... Erika!"

Ich gab den Ton vor und stimmte mit meiner überlauten

Stimme an

"Auf der Heide blüht eine Blümelein – und das heißt...

Eeeerika!"

Ich hatte die Kameraden mitgerissen und alle sangen

aus vollem Hals das Lied mit. Ich rief dazwischen

"Stopp - stopp! Ich höre nichts. Das ist mir zu leise Ihr

singt ja, wie die Piepmätze. Also noch einmal und jetzt

aber aus voller Kehle!"

Die Burschen folgten mir und brüllten was das Zeug

hielt. Sofort gingen alle Fenster der Blocks rund um den

Kasernenhof auf und verhaltener Beifall war zu hören.

Bei der zweiten Strophe schrien alle laut und kräftig und

es machte, so glaube ich, allen großen Spaß. Der Beifall

aus den Fenstern wurde stärker und man klatschte im

Rhythmus unserer Marschtritte mit. Als wir wieder im

Unterrichtssaal Platz genommen hatten, trat unser Batte

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rie-Chef, Oberleutnant Carstens, ins Zimmer und schiss

mich vor versammelter Mannschaft zusammen wie ich

wohl auf die Idee käme, alte Militär-Lieder singen zu lassen.

Man muss dabei wissen, dass die Gründung der

Bundeswehr gerade einmal vier Jahre zurück lag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zunächst Widerstände

gegen die Gründung einer neuen deutschen Armee

– sowohl von Seiten der Besatzungsmächte als auch von

Teilen der Bevölkerung. In den folgenden Jahren nahmen

aber die Stimmen zu, die eine Bewaffnung des 1949

zum Teil wiederhergestellten deutschen Staates, jetzt als

Bundesrepublik Deutschland bezeichnet, forderten. Die

Geburtsstunde der Bundeswehr selbst schlug schließlich

am 12. November 1955, als den ersten Soldaten ihre Ernennungsurkunden

in der Ermekeilkaserne in Bonn

überreicht wurden.

Nachdem alles was mit der Bundeswehr zutun hatte

umstritten war, musste alles vermieden werden, was an die

Wehrmacht erinnerte. Ich war damit mit meinem Gesang

der Erika auf dem falschen Dampfer und Oberleutnant

Carstens drohte mir wiederum ein Disziplinarverfahren

an, wenn ich meine Rekruten noch einmal zu einem solchen

Lied animieren würde.

Ich schlug die Haken zusammen und sagte

"Jawohl Herr Oberleutnant, das wird nicht mehr vorkommen."

Dabei wusste ich, dass es ihm im Grunde ganz gut gefiel,

dass ich mit meiner `Erika´ an alte WehrmachtsZeiten erinnerte, denn er war, wie ich inzwischen wusste,

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ein Tapferkeits-Offizier aus dem Zweiten Weltkrieg, denn

er war beim Russlandfeldzug ein Panzerkommandeur, er

wartete mit seinem `Panzerkampfwagen Tiger´ vor einem

Hohlweg, solange bis die russischen Panzer den Hohlweg

passiert hatten. Es war mutig solange zu warten bis die

ersten fünf auf dem Felde erschienen und so schoss er mit

seiner Panzerkanone alle fünf der Reihe nach ab. Er wurde

daraufhin zum Offizier befördert und erhielt den Rang

eines Leutnants.

Das waren Auszüge aus meiner Bundeswehrzeit, die

mich dem Berufswunsch eines Zeitsoldaten keineswegs

näher brachten.

Mit fünf Jahren etwa wollte ich unbedingt Zirkusdirektor

werden, aber meine Mutter sagte "Du kannst dann erst

einmal als Bollenräumer bei den Elefanten anfangen."

Damit war das Thema auch erledigt. Ein weiterer Berufswunsch,

schon in früheren Jahren, war der eines

Bauern...oder vornehmer ausgedrückt, der eines Landwirts.

Ich bekam an Weihnachten 1944, gebastelt von

meinem Onkel Hans und bemalt von meiner Mutti, einen

kompletten Bauernhof im Miniformat, geschenkt.

Wohnhaus Remise, Pferde und Kuhställe etc., im Hof

tummelten sich Gänse und Hühner und ein Pferdegespann

wartete, dass es in den Stall gebracht wurde. Ich war

begeistert. Als mein Vater mich jedoch einmal, als er seine

Schwarzbeeren auf dem Land zusammenkaufte, mitnahm

und ich sah, wie die meisten Bauern hausten, verschwand

dieser Berufswunsch schnell wieder. Später erwärmte ich

mich für die Grafik. Zeichnen und Malen war mein erklärtes

Hobby und dann kam die Werbung hinzu, die ich

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dann bei der Sektkellerei Matheus Müller, in Eltville am

Rhein, (MM - der große deutsche Sekt!) praktizieren durfte.

Ich blieb ein Leben lang auf der Schiene der Werbung

und habe mich 1974 am 1. Januar mit einer eigenen Webeagentur

verselbständigt.

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Kapitel 2

"Zweimal getroffen...und doch daneben!"

Oder: Was bei einer aufregenden Jagd im Voralpenland

so alles passieren kann.

Oder:...noch besser: Wer den Spott hat, braucht für den

Schaden nicht zu sorgen.

Eine wahre Begebenheit; erzählt von Nepomuk Dreiseittl

und aufgeschrieben von Joh. R. M. Christl

Die Jagd war eine meiner größten Leidenschaften, erzählte

mir mein alter Bekannter in vielen abendlichen

Plauderstunden bei einem Glas Rotwein.

Eine eigene Jagd hatte ich zwar nicht gepachtet -

so Dreisetitl weiter - aber ich war stets willkommen bei

vielen Pächtern im Voralpen land und im Hochgebirge,

denn meine Treffsicherheit und der korrekte Umgang

mit dem edlen Waidwerk brachte mir viele Freunde.

Es muss an einem Herbstsamstag in den sechziger Jah

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ren gewesen sein, als sich eine illustre Jagdgesellschaft im

Landhaus von Unternehmer Klaus Meiler, dem Besitzer

mehrerer Frisör-Fachgeschäfte, nach einer Treibjagd zusammenfand.

Was einen Frisör-Filialen-Besitzer zu einem leidenschaftlichen

Jäger macht, ist mir bis heute nicht klar. Ist es

der übertriebene Duft verschiedenster Parfüms und

Duftwässerchen, die die Luft in einem Frisörladen ständig

belasten und damit das Verlangen nach frischer Luft in

freier Natur hervorrufen? Ist es das scharfe Auge, das ein

Frisör haben muss, wenn er denn die ondulierten Haare

der holden Weiblichkeit exakt Locke für Locke in Position

legt und er sehen will, ob es (das scharfe Auge) auch

beim Schuss auf ein lebendes Objekt funktioniert? - Ich

weiß es nicht! Fest steht jedenfalls, Meiler war entweder

ein Jagd-Verrückter oder ein Enthusiast besonderer Art.

Unweit seines Landhauses im schönen Ampertal hatte er

ein Wildgehege angelegt in dem er Fasanen züchtete,

denn oft genug hatte er vor allem Besuch aus dem Bayerischen

Staatsministerium, da kam Goldfasan zu Goldfasan,

mag der geneigte Leser glauben; zu diesem Anlass ließ er

einen Teil der Fasanen fliegen, so dass die Abschussquoten

im Voraus garantiert waren. Unmittelbar an das Haus

schloss auch ein Wildschweingehege an, in welchem sich

ein gutes Dutzend Schwarzkittel tummelten. Ob er sie bei

entsprechendem Jagdgast auffliegen ließ, ist mir nicht bekannt

Jedenfalls standen wir gerade vor dem offenen Flügel

der Wohnzimmertür, da meinte Meiler zu mir, als mir

das laute Gegurre von 2 Dutzend Tauben, die draußen

auf einem Baum saßen auffiel

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"Wenn du mir auf den ersten Schuss eine Taube herunter

holst und mir hier auf den Tisch legst, spende ich

eine Flasche Schampus!", ich schlug ein. Das war für

mich kein Problem. Der Baum stand etwa 20 m vom

Haus entfernt; ich holte also meine leichte Büchse, legte

an und holte das Täubchen mit einem Schuss herunter.

Es fiel zu Boden, allerdings hinderte mich etwas ganz Geringfügiges

daran, die Taube zu holen, um sie wie vereinbart

auf den Tisch des Hauses zu legen. Der Baum stand

nämlich im Garten des Schwarzwildes, was ich gar nicht

bemerkt hatte und so fiel die Taube vom Baum in das

Gehege der Wildschweine. Bis dahin hatte ich nicht gewusst,

dass Wildschweine Allesfresser sind und so stürzten

sich die Säue auf das Täubchen und schwuppdiwupp

war es verspeist. Es war nicht möglich die Wette einzulösen

und ich musste zahlen. Im allgemeinen Hallo, in welches

mich die schalkhaft Wette des Herrn Meiler ausgesetzt

hatte, lernte ich einen Professor der Technischen

Universität Hannover kennen.

Er war ein etwas steifer Herr mittleren Alters mit akademischer

Ausdrucksweise, aber sonst sehr liebenswürdig,

verbindlich und als Mitglied unserer Jagdgesellschaft war

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er mir eigentlich gar nicht aufgefallen, aber er sprach mich

an und gratulierte mir zu meiner Treffsicherheit.

Unter den Jägern gibt es drei Kategorien:

Der Berufsjäger; er ist meist blind vor Professionalität und

glaubt er weiß alles.

Der Enthusiast; er ist mit Eifer, Liebe und Seele dabei. Er

gibt ebenso gern einen guten Schuss ab, wie er den Tränen

nahe ist, wenn ihm das erlegte Reh mit gebrochenem

Blick anschaut.

Der Hobbyjäger; ihm macht die Jagd nur als Zeitvertreib

Spaß und er betreibt das Ganze meist nur aus Geltungssucht

und zur Imagepflege.

Allerdings gibt es noch eine vierte Kategorie, das sind

jene Burschen, die es schon beim Gedanken an die Jagd

in der Magengrube kribbelt, so als würden sie an eine

schöne Frau denken. Diese Kategorie, glaube ich, ist sehr

selten und ich würde mich zu ihr zählen. Jägerlatein verbreiten

sie alle, aber davon kann an dieser Stelle wirklich

keine Rede sein.

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Ich erkannte gleich, dass es sich beim Professor um einen

Hobbyjäger handelte. Er brauchte die Jagd aufgrund seines

trockenen Berufes und zur Zerstreuung. Aber zerstreut

war er offenbar auch in seinem Lehramt, wie man

mir erzählt hat. Wir kommen also ins Gespräch und der

Herr Professor Schüssel - ich nenne ihn einmal so, denn

seinen wirklichen Namen muss ich aufgrund der nachfolgenden

Geschichte und um ihm Peinlichkeiten zu ersparen

verschweigen - sagte mir beiläufig, dass es sein größter

Herzenswunsch wäre, einmal einen kapitalen Hirschen zu

schießen. Diesem Verlangen konnte ich nachhelfen!

***

Max Hafner, ein Kriegskamerad, hatte in der Nähe von

Sonthofen im schönen Allgäu einen schönen, stattlichen

Bauernhof. Außerdem hatte er eine 3000 Tagewerk große

Jagd, die sich nicht nur durch ihren hervorragenden

Wildbestand, sondern insbesondere durch ihre landschaftliche

Schönheit auszeichnete. Eines der schönsten

Jagdreviere, die ich jemals gesehen hatte! Die Allgäuer

Alpen sind nun einmal, wie jeder weiß, eine wundervolle

Sache und der Max hatte sich ein reizvolles Stück davon

42

erpachtet. Hier konnte das Herz eines jeden Jägers höherschlagen,

denn es gab Schmalwild, Gams und Rotwild

neben dem sogenannten Niederwild. Also auch Hirsche

waren dabei, in jeder Güteklasse. Der Max war ein gewiefter

Landwirt, er hatte seine Augen überall und es entging

ihm auf seinem Hof nicht das Geringste. Er hatte nur ein

kleines Handicap, er konnte nicht schießen. Das heißt

schießen konnte ja schon, aber mit dem Treffen hat es

gehapert! So kam es, dass er mich des Öfteren anrief, um

zu fragen ob ich nicht wieder einmal vorbeikommen

könnte, um ihn von der Fuchsplage zu befreien. Die

Füchse nahmen als Raubwild, bei ihm überhand, sodass

sie seinen Bestand an Enten und auch Gänsen manchmal

stark reduzierten. Ich half ihm in dieser Sache gerne und

er zeigte sich mir gegenüber dadurch erkenntlich, dass er

erlaubte, wann immer ich wollte, in seinem landschaftlich

reizvollen Revier auf die Jagd zu gehen. Ich rief den Max

an und sagte ihm, dass ich einen Jagdkollegen hätte, der

gerne mal auf einen Hirschen ansitzen würde.

"Des pascht sich guet - des pascht sich guet...", sagte

der Max in breitem Allgäuerisch

"...ich hab noch drei Gabler zum Abschuss frei, da

könnt ihr einen davon haben."

Gabler sind die einjährigen jungen Hirsche, die zum

ersten Mal ein Geweih ansetzen. Mir war das gerade

recht, denn ein kapitaler Hirsch, so ein 12oder 14-Ender

wäre für meinen Hobbyjäger doch zu schade gewesen. Ein

passender Termin war schnell gefunden und der Professor

und ich fuhren einen Tag vor dem großen Ereignis in

die Allgäuer Berge. Wir waren pünktlich zum Abendessen

vor Ort. Es gab Kaiserschmarrn und einen zünftigen

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Roten. Wir hatten wettermäßig ein schönes Wochenende

erwischt. Als wir morgens etwa gegen 4:30 Uhr aufbrachen,

war es noch stockdunkel. Wir mussten eine halbe

Stunde wandern, bis wir zu der Stelle kamen, die zum Abschuss

des Hirschen als geeignet erschien. Inzwischen war

es 5 Uhr geworden und der Morgen dämmerte herauf.

Leicht außer Atem war mein Professor hinter mir her gestiefelt

und brauchte erstmal eine Verschnaufpause. Wir

waren am Rande eines Hochwaldes angelangt. Über den

anschließenden Wiesen waberte dichter Nebel. Ich bedeutete

meinem akademischen Jagdgast, dass der Nebel

sich in Kürze wahrscheinlich verziehen würde und wir

inzwischen unsere Plätze einnehmen sollten. Auf der

Pirsch ist es angesagt .... und das weiß schließlich jedes

Kind..., dass sich der edle Waidmann so still wie möglich

durch das Revier bewegt. Mein lieber Professor hatte davon

offenbar noch nie etwas gehört. Er stapfte am Waldrand

entlang wie eine Wildsau auf der Suche nach

Eicheln. Auch sein Schnaufen, durch den strammen Anmarsch

hervorgerufen, war dem Grunzen eines Schweines

nicht unähnlich. Das konnte ja heiter werden, auf diese

Weise musste er doch alle Hirsche dieser Welt vergrämen.

Als wieder einmal ein paar Äste unter seinen Stiefeln

zerbrachen, wandte ich mich ihm zu, legte den Zeigefinger

auf meine Lippen und bedeutete ihm, nicht so viel Lärm

zu machen. Aber er war offensichtlich etwas schwerhörig,

was für einen Waidmann nicht unbedingt von Vorteil ist.

Dass er auch noch kurzsichtig war, erfuhr ich erst eine

Viertelstunde später. Ich hatte zwei Hochsitze ausgewählt,

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die am Waldrand nur etwa 30 Meter voneinander entfernt

waren. Den günstigeren wollte ich dem Professor überlassen,

den anderen dachte ich für mich, um das Geschehen

besser beobachten zu können. Ich führte meinen Gast zu

seinem Stand und begab mich vorsichtigen Schrittes zu

meinem Ansitz.

Die Natur erwachte langsam. Es erhob sich erstes Vogelgezwitscher

und von ferne vernahm man das Läuten

von Kuhglocken, das mir aber verdächtig nahe vorkam,

aber das konnte nicht sein. Offenbar - und das weiß auch

jeder, der sich oft in der Natur bewegt: Nebel leitet den

Schall besonders gut, sodass einem alle Geräusche zu dieser

Stunde besonders laut und deutlich vorkamen.

Es waren noch keine fünf Minuten vergangen, ich hatte

soeben meinen Hochsitz erreicht, als es hinter mir schon

krachte. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, die

sich gerade darum drehten, wie wir das erlegte Wild wohl

am besten zum Hof des Jagdpächters bringen könnten.

Sofort kletterte ich von meinem Hochstand wieder herab.

Ich war noch nicht unten angelangt, da knallte es ein zweites

Mal. Zweifellos kam der Schuss auch dieses Mal aus

der Jagdflinte des Herrn Professors. Mit zügigen Schritten

eilte ich dem Jägerstand meines Nachbarn zu. Ich überlegte,

weshalb der Professor noch einmal nachschießen

musste? Als schlechter Schütze war er eigentlich nicht bekannt...

Trotzdem wurde es mir mulmig. Sollte mein Jagdgast

ein so miserabler Schütze sein, dass er nachschießen

musste, um das Wild endgültig zu erlegen? Oder hatte

sich gar ein Schuss unabsichtlich gelöst? Ich sah den Pro

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fessor zitternd von seinem Hochsitz heruntersteigen; als

ich ihn unten in Empfang nahm, sagte er voller Aufregung

in der Stimme

"Es waren zwei... und ich bin mir sicher, dass jeder

Schuss getroffen hat!"

Im Nebel, der immer noch vor uns auf den Wiesen

lag, rührte sich nichts. Nur leichtes Röcheln oder Schnauben

war zu hören ...... das musste eine Täuschung sein.

Nach dem zweiten Schuss waren sämtliche Vögel im

Walde verstummt, es war wirklich seitdem mucksmäuschenstill,

man hätte eine Tannennadel fallen hören, so still

war es plötzlich geworden. Ich fragte den wackeren Jägersmann

"In welcher Richtung muss der Hirsch liegen?"

Denn, dass er gleich zwei Hirsche erlegt hatte, konnte

ich nicht glauben. Schon beim ersten Schuss wären alle

weiteren Tiere geflüchtet. Also hat er wohl in meiner Vorstellung

zweimal auf das gleiche Tier geschossen. Der Professor

deutete nach kurzer Überlegung halbrechts hinaus

auf die Wiese. Der Nebel hatte sich inzwischen auf die

Wiese gesenkt und lag nur mehr etwa einen Meter über

dem Boden. Es war nichts zu sehen!

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Wir gingen los in Richtung Fingerzeig, konnten aber

nichts finden

"Wir müssen doch etwas weiter nach links", meinte der

morgendliche Scharfschütze. Wir schwenkten nach links.

Nichts!

Nun gingen wir wieder ein Stück geradeaus, mitten in

den weißen Nebel hinein; auf der Wiese hin und her, die

hier etwas abschüssig war und wir kamen gut voran.

Da!

Da lag etwas vor uns auf der Wiese. Ein massiger Körper,

dampfend und regungslos. Ich schaute genau hin und

dachte mich trifft der Schlag! Vor mir lag leblos eine der

großen hellbraunen Allgäuer Kühe

Ein sauberer Schuss, direkt in den Hals, hatte sie niedergestreckt.

Als streng katholisch erzogener Mensch, darf

man nicht fluchen, aber mir entfuhr angesichts einer solchen

Missetat ein gewaltiges Schimpfwort. Dabei konnte

ich den armseligen Jäger, so hilflos wie er dastand, nicht

rügen und nicht schimpfen. Es war schon eher die kolossale

Überraschung, die mir den Fluch entlockte

"Herrgott Sakrament, zefix Halleluja!"

Ich konnte es nicht genau sehen, aber ich ahnte dass

mein Mit-Jäger blass wie eine Leiche war.

"Nein, das kann doch nicht sein!", stammelte er mit

leiser Stimme

"Es muss wohl so sein...", sagte ich und deutete auf die

starken Hörner der Kuh, die vom Geweih eines einjährigen

Hirschen, das auch nur aus zwei geraden Stangen bestand

optisch nicht weit entfernt war.

Nachdem wir uns beide vom ersten Schreck erholt hatten,

fragte ich den Professor

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"Haben Sie denn zweimal auf die gleiche Kuh geschossen?

"Niemals, das andere war bestimmt ein Hirsch!", sagte

tonlos der wackere Waidmann.

"Das sehe ich, aber lassen Sie uns nachschauen", erwiderte

ich und untersuchte das unglückliche Rindvieh. Ich

musste die schöne Kuh bedauern. Es gibt eben nicht nur

glückliche Kühe. Die Kuh hatte nur einen Einschuss, der

offenbar sofort tödlich war

Mir kam die ganze Sache inzwischen mehr als komisch

vor und ich machte mich daran die Umgebung abzusuchen.

Hilflos tapsend folgte mir der scharfsichtige Jäger.

Keine zwanzig oder dreißig Meter von unserem Fundort

entfernt stießen wir dann auf ein weiteres unschuldiges

Jagd-Opfer. – Eine schöne Allgäuer Milchkuh - Leblos am

Boden liegend.

Jetzt wurde auch mir heiß und kalt. Sollte das bedeuten,

jeder Schuss ein Treffer? Schlechte Augen hatte der Professor

offenbar nicht, aber bei der Zielansprache (Erken

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nen eines Zieles) hatte er wohl gewaltigen Nachholbedarf.

Der unglückliche Jäger war am Boden zerstört, sodass ich

ihn erst einmal moralisch wieder aufrüsten musste

Der Rest des Tages bestand darin, dass ich verschiedene

Aktivitäten zu entfalten hatte, an die ich heute besser

nicht mehr denke. Während der ganzen Heimfahrt nach

München saßen zwei Stumme nebeneinander. Überflüssigerweise

nahm mir der Professor das Versprechen ab,

keiner Menschenseele von diesem unglücklichen Jagdausflug

zu berichten. Ich vermute aber, der Max aus dem

Allgäu und die Metzger, die den Rest der RinderSchlachtung übernehmen mussten, haben für die Verbreitung

gesorgt. Fünfunddreißig Jahre lang habe ich mich

jedenfalls an das Versprechen gehalten. Inzwischen aber

glaube ich, dass es verjährt ist und die Geschichte, so wie

sie sich wirklich zugetragen hat, der Nachwelt erhalten

bleiben muss.

Übrigens: Unser cleverer Landwirt aus den Allgäuer

Bergen hat als Entschädigung für jede Kuh 3000 D-Mark

verlangt und auch bekommen. Er hatte nämlich behauptet,

dass jede seiner zwei Kühe schwanger, also trächtig

gewesen wäre. Jägerlatein oder Landwirts-Latein - wer es

glaubt wird selig!

Und, wie gesagt, wer den Spott hat, braucht für den

Schaden nicht zu sorgen.

Nachtrag:

Oder besser: Halali... Jagd noch nicht vorbei!

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Etwa ein Jahr später fuhr ich mit dem Professor nach

Landau an der Isar zu einer Treibjagd. Landau befindet

sich von München her gesehen in entgegengesetzter Richtung

zum Allgäu. Das ist eine beruhigende Feststellung,

wenn man bedenkt, dass meinem armen Jagdgenossen die

Rindviecher gedanklich - ich meine die schrecklichen Ereignisse

- immer noch in den Knochen steckten. Wir

kamen in Landau an und fanden hier schon einen Großteil

der Jagdgesellschaft an. Im Gasthaus `Zum oberen

Wirt´ hatten sich etwa ein Dutzend Jäger und etwa doppelt

so viele Treiber eingefunden

Wie es üblich war, nahmen die Jäger im ersten Stock

des Gasthauses und die Treiber in der Gaststube im Erdgeschoss

noch einen kräftigen Schluck zu sich. Wir, also

der Professor und ich, gesellten uns im Obergeschoss zu

den Jagdgenossen und beteiligten uns an der lebhaften

Unterhaltung. Als der Professor die Toilette im Erdgeschoss

aufsuchte, wurde es dort unter den Treibern ganz

still und plötzlich drang aus den Tiefen des Erdgeschosses

über den Flur zu uns herauf in den ersten Stock ein vielstimmiges,

lautes, markerschütterndes

"Muhhh..!"

Der unglückliche Jäger aus den Allgäuer Alpen eilte zu

mir herauf, packte mich wortlos am Arm und wir verließen

fluchtartig, über die Hintertreppe, das Gasthaus. Der

hochkarätiger Akademiker nahm nie mehr an einer Jagd

teil.

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