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Inhaltsverzeichnis

Kapitel IDie goldenen Croissants aus der Bäckerstube15
Kapitel IIHolzauge sei wachsam24
Kapitel IIIEin Frauenzimmer kommt selten allein48
Kapitel IVImmer auf der Flucht83
Kapitel VErfahrungen sammeln133
Kapitel VIÄnderung meines Lebens142
Kapitel VIIVom Misthaufen zum Polizeibeamten202
Kapitel VIIIPrivatunternehmer220

 

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Rediroma Verlag

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ISBN: 978-3-98527-063-7
Preis: 10,95

Holzauge, sei wachsam! [Leseprobe]

Die heitere und spannende Autobiografie eines weltberühmten Detektivs



Kapitel I

Die goldenen Croissants aus der Bäckerstube

Dass ich am 23. Juli 1775 geboren wurde, war reiner Zufall. Zufall deshalb, weil ich glaube, dass meine Eltern meine Entstehung nicht geplant hatten. Ich bin in Arras zur Welt gekommen. Stets war mein Alter vielen nicht geläufig; schließlich hatte ich in ewiger Verkleidung gelebt und ich hatte immer bewegliche Gesichtszüge. Ich hatte auch immer die besondere Fähigkeit, mich zu verstellen.

Interessant dürfte sein, dass ich in einem Hause zur Welt kam wo sechzehn Jahre früher Robespierre, der Radikalinksi – was aber auf mich nicht abfärbte - geboren ward. Es war eine stürmische Nacht und es regnete in Strömen; es donnerte schauerlich. Eine unserer Verwandten waltete das Amt der Hebamme und das einer Wahrsagerin, die beides vereinte. Sie schloss aus diesen Umständen, nicht zu Unrecht, dass mein Leben sehr stürmisch verlaufen würde. Sie hatte Recht, muss ich doch annehmen, dass sich der Himmel nicht ausgesucht für mich in Unkosten gestürzt hat und obwohl der Glaube ab und zu ganz wunderbar manchmal sein Verführerisches hat, so bin ich doch weit entfernt von dem Gedanken,

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dass man von oben her auf meine Geburt besonders acht gegeben haben soll. Ich hatte eine außerordentlich robuste Konstitution und an Muskelkraft wurde bei mir weiß Gott nicht gespart. Im Moment meiner Geburt hat man mich wohl für ein zweijähriges Kind halten können und ich ließ bereits jene athletischen Formen ahnen, die mittlerweile die unerschrockensten und wagehalsigsten Schurken und Ganoven vor mir erstarren ließen.

Als günstig kann bezeichnet werden, dass das Haus meines Vaters in der Nähe der Kaserne auf einem Platz stand, wo sich alle Lümmel des Viertels trafen. So kam ich schon frühzeitig dazu die Muskelkräfte zu üben, indem ich regelmäßig meine Kameraden durchbleute, sodass sich deren Eltern natürlich laufend beschwerten bei den meinen und es ward halt nicht verwunderlich, dass man im Hause meiner Eltern nur noch von eingerissenen Ohren, blaugeschlagenen Augen und zerfetzten Kleidern Kenntnis nehmen musste. Mit acht Jahren war ich der Schrecken aller Hunde, Katzen und Kinder aus der Nachbarschaft.

Mein Vater bemerkte natürlich, dass ich in der Nähe des Militärs der Garnison herumlag und so war er durch mein aktives Nichtstun ziemlich beunruhigt. Er hatte vor, mich zu meiner ersten Kommunion zu schicken. Zwei Betbrüder übernahmen es, mich auf diesen feierlichen Akt vorzubereiten. Keiner weiß welche Früchte ich aus den Unterweisungen der beiden Brüder gezogen habe, trotzdem begann ich zur selben Zeit in den heiligen Stand

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der Bäckerei zu treten; das war schließlich der Beruf meines Vaters. Er wollte zu meiner Verwunderung, dass ich sein Nachfolger werde und als Teigkneter Semmeln formte, obwohl ich einen älteren Bruder hatte. Ich bemühte mich redlich, was die Duldsamkeit meiner Mutter beispielsweise of auf die Probe stellte, so lange, bis sie eines Tages in der Ladenkasse, von der sie leichtsinnigerweise nie den Schlüssel abzog, ein Defizit feststellte.

Meinem Kumpel Poyant, der viel älter war als ich, machte ich davon Mitteilung. Nun, die Ladenkasse hatte einen Schlitz durch den man das Geld einwarf, also riet mir mein Freund als erstes, ich solle in das Loch eine Rabenfeder, die mit Vogelleim bestrichen war, einführen. Dieser geniale Einfall -das war er schließlich - verhalf mir aber nur zu kleinen Geldstücken und wir waren gezwungen uns zur Anwendung eines falschen Schlüssels zu entschließen, den Poyant vom Sohne eines Schutzmannes herstellen ließ. So funktionierte die Entnahme der Dividende ganz einfach. Wir verfraßen den Ertrag dieser Diebstähle in einer Kneipe, in der wir unser Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Dort gab es eine ehrenwerte Gesellschaft, an deren Busen meine Mußestunden verstrichen. Allerdings nur bis zu jenem Moment, als mein Vater mich eines Tages bei meinem Tun überraschte. Er bemächtigte sich daraufhin meines Zweitschlüssels und ergriff Vorsichtsmaßnahmen, sodass ich nicht mehr daran denken konnte, mir einen Gewinnanteil aus seinen Einnahmen zu verschaffen.

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Seit drei Tagen war ich schon nicht mehr bei meinen Eltern aufgetaucht. Als ich mich endlich meiner Wohnstätte besonnen hatte und wieder zuhause einpassierte, wurde ich eines Abends von zwei Polizisten arretiert und ins Spritzenhaus gebracht, wo man die Irrsinnigen, die Häftlinge und die Landstreicher der ganzen Umgebung einschloss. Dort hielt man mich gegen meinen Willen zehn Tage gefangen, ohne dass man mir einen Grund für meine Gefangennahme mitteilte. Nach mehrmaligem Nachfragen sagte mir der Wärter, dass ich auf Verlangen meines Vaters eingesperrt worden war. Diese Nachricht besänftigte meine Unruhe etwas; es war also eine väterliche Abstrafung und ich erahnte, dass man mich nicht übermäßig streng halten würde. Meine Mama kam am nächsten Tag, um nach mir zu sehen und ich erhielt ihre Verzeihung. Vier Tage später war ich frei und ich ging wieder an meine Arbeit, mit der ausdrücklichen Absicht von nun an eine vorwurfsfreie Führung zu halten…..was jedoch ein vergeblicher Entschluss war.

So war ich zunächst im Zwiespalt meiner Absichten und es war mir fast unmöglich da herauszukommen, obgleich ich stets auf der Lauer lag. Auf Dauer machte mich das jedoch ziemlich verzweifelt. Endlich erbarmte sich meiner einer meiner alten KneipenKumpane: es war wieder einmal Poyant, ein vollendeter Lump, an dessen Großtaten die Einwohner von Arras wohl noch heute denken mögen. Ich gestand ihm meine Qualen.

Ei was…“, sagte er zu mir „… du bist schön dumm so am

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Bändel zu hängen, stell dich nicht so dumm…und dann wie sieht denn das aus: ein Junge in deinem Alter und hat keinen Sou in der Tasche! Wenn ich an deiner Stelle wäre, wüsste schon was ich täte“

„Und was tätest du?“ – „Deine Eltern sind reich. Tausend Taler mehr oder weniger werden ihnen kein großes Unglück machen, die alten Geizkragen, denen geschieht doch ganz recht. Du musst deinen Schnitt machen! "

„Ich verstehe schon, ich soll im Ganzen einpacken?“

„Jawoll und dann verduftet man ungesehen und unerkannt.“ – „Ja aber die Gendarmerie?“ – „Halt doch das Maul. Bist du denn nicht ihr Junge und dann, deine Mutter liebt dich doch ziemlich mächtig.“

Eines Abends, als meine Mutter allein zu Hause war, kam ein Vertrauter von Poyant gelaufen, setzte seine ehrlichste Miene auf und teilte ihr mit, ich würde an einer Orgie mit Mädchen und Bier beteiligt sein. Ich schlüge auf alle Welt los und ich wolle alles in dem Hause kurz und klein schlagen und wenn man mich gewähren ließe, so gibt es für mindestens 100 Franken Schaden, den man gleich bezahlen müsse. In diesem Augenblick saß meine Mutter gerade in ihrem Stuhl und strickte; der Strumpf fiel ihr aus der Hand, sie sprang Hals über Kopf auf und lief ganz außer sich an den Ort des angeblichen Vorganges – und man war so vorsorglich gewesen, ihr eine

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der entferntesten Gegenden der Stadt zu nennen. Ihre Abwesenheit konnte trotzdem nicht allzu lange dauern. Aber wir fanden Gelegenheit sie auszunutzen. Ein Schlüssel, den ich am Abend vorher gemacht hatte, half uns in den Bäckerladen einzudringen. Die Beute war ansehnlich, so dass ich noch am gleichen Tage das Weite suchen musste.

Ich begab mich eiligen Fußes und manch eiliger Kutschen und Wagen nach Ostende, um mich nach Amerika einzuschiffen.

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Frankreich im 18. Jahrhundert (Vidocq wurde 1775 geboren)

Frankreich war im 18. Jahrhundert mit 20 Millionen Menschen eine der größten und bevölkerungsreichsten Staaten Europas. Obwohl die Bevölkerung in anderen Ländern schneller wuchs, der Vorsprung Frankreichs war erheblich. Die Bevölkerung war die eigentliche Machtbasis der Staaten. Am Hofe in Versailles wurde über Macht, Einfluss und sehr viel Geld entschieden und spätere Kritiker schufen daraus wahre Schauermärchen. Von Falschheit, Sittenverfall und Verschwendung wurde berichtet. Vergessen wurde dabei jedoch die wichtige Funktion, die der Hof für die öffentliche Ordnung besaß. Für die fast ständige Kriegsführung mussten adelige Offiziere gewonnen werden, die ihr Kommando ebenfalls als lukrative Chance wahrnahmen, nämlich sich auf Kosten der Soldaten und der Monarchie zu bereichern: Truppenstärken ließen sich auf dem Papier gut manipulieren. Beschaffungsaufträge wurden nur mit Schmiergeldern vergeben. Weite Bereiche der Staatstätigkeit wurden so durch Dritte erledigt und die betroffene Bevölkerung kam nie in direkten Kontakt mit dem Souverän vor Ort. Für die Adeligen ergaben sich daraus glänzende Möglichkeiten zur Klientelbildung. Seine Machtbasis war für den Herrscher nur mobilisierbar, wenn er die Interessen des zweiten Standes beachtete. An der Spitze der Verwaltung standen die Staatssekretäre bzw. Minister oder Premierminister, die oft dem Amtsadel entstammten. Den Behörden oblag die Gesetzgebung; deren Umsetzung musste jedoch in der Provinz sichergestellt werden. Dort hatten die regionalen königlichen Gerichtshöfe die Parlaments (nicht zu verwechselt mit dem späteren Par-lament) neben der Rechtsprechung weitergehende Verwaltungsbefugnisse. Häufig kam es zu Kompetenzstreitigkeiten mit den regionalen Finanzgerichthöfen mit örtlichen Adeligen, der Kirche oder Städten. Politischer Wille ist demgegenüber erst ein nachrevolutionäres Phänomen. An den Rändern der Habsburger Monarchie, die ein bedeutender Reichsteil war, lebten nur etwa acht Millionen Menschen; im Vereinigten Königreich (Großbritannien) waren es fünf bis sechs, in der spanischen Monarchie zwischen sechs und acht Millionen. Da die Produktivität der noch weitgehend handwerklich geprägten Wirtschaft ergab dann die Höhe der Überschüsse die ein König verteilen konnte.

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Das Militärpotential Frankreichs prägte seine Machtstellung, es ergab sich aber auch durch die geographische Position des Landes mit Zugängen zu Mittelmeer und Nordsee, der Kontrolle über die beiden wichtigste Nord-Süd-Achse Rhonetal und zumindest teilweise Rheingraben. So konnte Frankreich Druck auf die habsburgischen Verbindungswege nach Flandern und auf den schwachen Nachbarn im Osten, das Reich ausüben, während es sich in Übersee mit den aufsteigenden Briten um die Vorherrschaft stritt.

Das 18. Jahrhundert war auch das Zeitalter der Aufklärung. Es war eine Epoche, die sehr viele Veränderungen und Umbrüche bewirkte.

Was kennzeichnete diese Zeit und wer sollte überhaupt von wem aufgeklärt werden? „Sapere auv!“ oder zu Deutsch: „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Das war das Motto der Aufklärung. Das klingt heute ganz logisch. Natürlich sollte man seinen Verstand benutzen; unter der Aufklärung war aber eine Epoche, die sehr viele Veränderungen und Umbrüche bewirkte und welche die Weichen für die "moderne Welt" stellte. Vidocq war also in eine Zeit hineingeboren, die versucht hatte, durch Wissen und neue Erkenntnisse Antworten auf Fragen zu finden und Zweifel, Vorurteile oder falsche Annahmen auszuräumen. In der Aufklärung wurde die menschliche Vernunft zum Maßstab eines jeden Handelns erklärt. Es war einer der Grundsätze der Aufklärung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen; lediglich das was durch ihn erfasst und erklärt werden konnte, wurde als Grundlage und Maß für Entscheidungen und Handlungen anerkannt. Von Anfang an war auch Vidocq bestrebt sich von alten Denkweisen und früheren Vorstellungen zu befreien. Die Menschen sollten anders als früher ihren Kopf benutzen und nichts als gegeben hinnehmen, ohne es mittels der Vernunft zu hinterfragen. Es richtete sich vor allem gegen blinden Gehorsam gegenüber der Kirche und anderen Obrigkeiten gegen Vorurteile und Aberglauben, wie z.B. den Hexenwahn. In den Augen der Aufklärer war allein der Verstand in der Lage die Wahrheit ans Licht zu bringen und Freiheit sei das richtige Mittel, um die Menschen von Unterdrückung und Armut zu erlösen.

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Kapitel II

Holzauge sei wachsam

Am 10. März 17991 verpflichtete ich mich dem Regiment de Bourbon, und bestätigte somit baldigst meinen Ruf als furchterregender Duellant -doch dazu später!

Ich war kaum drei Tage einem Gebäude innewohnend, das man schlechthin Kaserne nannte, als sich ein Vorfall begab, der mich zur Aktion reizte. Am Hof vor der Kaserne hatte ein Mensch, eine Art Feldwebel oder ein sogennanter uniformierter Ausbilder einen

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kleinwüchsigen Rekruten zu einem Sonderdrill herangezogen. Ich beobachtete, wie der Soldat einer mir unerklärlichen Strafe zufolge, Liegestützen machen musste, bis diesem die Kraft ausging und er auf seinem Bauch liegenblieb. Sodann stellte der Ausbilder seinen Stiefel in den Nacken des armen Soldaten und befahl ihm unter erschwerten Bedingungen weitere Liegestützen zu vollziehen. Der Gequälte stöhnte nicht gerade